Freitag, 1. Mai 2009

4. Lichtsymbolik

Der größere Teil des Geschehens spielt in den Abend- und Nachtstunden.
Törleß sieht in der Konditorei "in den leeren Garten hinaus, der allgemacht verdunkelte" (24). Nach dem Gespräch mit Beineberg blickt er in die Dunkelheit des verlassenen Gartens und fühlt sich vom "Schwarm schwarzer Feinde" (32) bedroht. Die Rote Kammer wird nur durch mitgebrachtes Licht erhellt.
Der Erzähler benutzt die Lichtsymbolik nicht nur, um die Stimmungen der Hauptfiguren zu spiegeln. Darstellungen, Gleichnisse und Metaphern aus dem Bereich der Lichtsymbolik durchdringen fast alle Bereiche des Textes und haben meist symbolische Bedeutung.
Der Erzähler spricht vom "geheimnisvollen, bizarren Dämmern des esoterischen Buddhismus" (24), um den Zwischenbereich zwischen Verstand und Gefühl zu verdeutlichen. Beineberg wird oft ins Zwielicht gestellt.
Törleß' Verhältnis zu Helligkeit und Dunkelheit ist ambivalent. Einmal berichtet der Erzähler: Sein Leben "war auf jeden Tag gerichtet", dann spricht er im gleich Abschnitt von der Faszination, welche die Nächte auf Törleß ausüben (vgl. 47).
Törleß liebt im Gegensatz zu Beineberg das helle, natürliche Licht. Als Törleß nach der Misshandlung Basinis den "über den Boden fließenden Lichtschein" sieht, sagt er zu dem verständnislosen Beineberg: "Mir ist dieses Licht wie ein Auge. Zu einer fremden Welt" (100). Es bedeutet für ihn schon zu diesem Zeitpunkt Mittel der Erkenntnis.
Als er sich später gegen die Quälereien entscheidet, fällt durch das Dachfenster "ein breiter Balken Mondlicht" (177), der ihn den geschundenen Körper Basinis erkennen lässt. Er erkennt den Sadismus der Mitschüler und fällt seine Entscheidung gegen sie. Von nun an betritt er nicht mehr die Rote Kammer.
Das Dunkel enthält für Törleß die ungehobenen Schätze einer unbewussten und verwirrenden Wirklichkeit, die durch den Erkenntnisvorgan ans Licht gehoben und versprachlicht werden muss. Bildhaft spricht der Erzähler von einzelnen "Teilchen", wie sie sich aus der "Finsternis" lösen, vorübergehend in den Bereich des "Lichts" gelangen, dann aber daraus wieder versinken (vgl. 128).
Die Lichtsymbolik begleitet die Grenzüberschreitung zwischen Außen und Innen, zwischen der Welt des Gegenständlichen und der des Seelischen. Sie verdeutlicht aber auch Törleß' Prozess der Bewusstseinsbildung und Erkenntnisgewinnung. In seiner Rede vor den Lehrern weist er bildhaft darauf hin: "Eine große Erkenntnis vollzieht sich nur zur Hälfte im Lichtkreis des Gehirns, zur anderen Hälfte in dem dunklen Boden des Innersten" (194f.)

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